Was bedeutet verschränkte Arme und andere Körpersprache wirklich, laut Psychologie?

Du sitzt im Büro und beobachtest, wie dein Kollege die Arme verschränkt. Sofort denkst du: „Der ist aber abweisend heute!“ Oder du siehst jemanden, der breitbeinig dasitzt und denkst dir: „Wow, der ist aber selbstbewusst.“ Wir alle glauben, dass wir andere Menschen wie ein offenes Buch lesen können – nur anhand ihrer Körpersprache. Aber hier kommt die Überraschung: Die Wissenschaft sagt etwas ganz anderes.

Psychologen haben jahrelang erforscht, was unsere Gesten, Haltungen und unbewussten Bewegungen wirklich über uns verraten. Das Ergebnis? Wir überschätzen die Aussagekraft der Körpersprache massiv. Die meisten „Geheimnisse“, die wir zu entschlüsseln glauben, existieren nur in unserer Vorstellung.

Die ernüchternde Wahrheit aus der Forschung

Steffen Breil von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat zusammen mit seinem Team zwischen 2020 und 2023 eine gigantische Metaanalyse durchgeführt. Sie untersuchten über 200 Studien zum Thema Körpersprache und Persönlichkeit. Das Ergebnis war ernüchternd: Die meisten körpersprachlichen Signale erklären gerade mal 1-5% der Persönlichkeitsunterschiede zwischen Menschen.

Um das mal in Perspektive zu setzen: Wenn du glaubst, aus der Art, wie jemand seine Arme verschränkt, seinen ganzen Charakter ablesen zu können, dann liegst du zu 95% daneben. Selbst wenn man alle verfügbaren körpersprachlichen Hinweise zusammenfasst, kommt man maximal auf 10% Trefferquote.

Der Psychologe Uwe Peter Kanning bringt es auf den Punkt: „Was wir in die Körpersprache anderer Menschen hineininterpretieren, sagt mehr über uns selbst aus als über die Person, die wir beobachten.“ Das tut weh, ist aber wissenschaftlich belegt.

Warum verschränkte Arme nicht bedeuten, was du denkst

Verschränkte Arme können einfach bedeuten, dass jemandem kalt ist – das ist die Realität hinter einem der größten Körpersprache-Mythen überhaupt. Im Internet wimmelt es von Artikeln, die behaupten, diese Haltung würde Abwehr oder Verschlossenheit signalisieren.

Oder die Person sucht eine bequeme Position. Oder sie denkt gerade intensiv nach. Oder es ist einfach ihre Gewohnheit. Oder sie fühlt sich in diesem einen Moment unsicher – was aber nichts darüber aussagt, ob sie generell ein offener oder verschlossener Mensch ist.

Das Problem ist: Körpersprache verrät hauptsächlich etwas über unseren momentanen Zustand, nicht über unseren Charakter. Wenn du müde bist, hängst du vielleicht in deinem Stuhl. Das macht dich aber nicht zu einem faulen Menschen.

Die eine Ausnahme: Extraversion lässt sich tatsächlich erkennen

Es gibt aber eine Ausnahme von der Regel, und die ist ziemlich interessant: Extraversion lässt sich tatsächlich relativ gut an der Körpersprache ablesen. Menschen, die von Natur aus gesellig und aufgeschlossen sind, zeigen das auch körperlich – und zwar ziemlich zuverlässig.

Extravertierte Menschen machen tendenziell ausladendere Gesten, nehmen mehr Raum ein, halten häufigeren und direkteren Blickkontakt, wenden sich anderen körperlich zu und zeigen lebhaftere Mimik. Das ist wissenschaftlich mehrfach bestätigt worden.

Aber – und das ist ein wichtiges Aber – selbst hier gilt: Es ist nur ein Hinweis, kein Beweis. Auch introvertierte Menschen können in bestimmten Situationen sehr ausdrucksstarke Körpersprache zeigen, besonders wenn sie sich wohl und sicher fühlen.

Der große Sitzhaltungs-Schwindel

Lass uns über einen der größten Körpersprache-Mythen sprechen: die angeblich so aussagekräftigen Sitzhaltungen. Im Internet kursieren unzählige Artikel, die behaupten, deine bevorzugte Art zu sitzen würde tiefe Einblicke in deine Persönlichkeit gewähren. Wissenschaftlich betrachtet ist das größtenteils Quatsch.

Die Forscher Kolev und Kanning haben 2011 gezielt getestet, wie Menschen aufgrund spezifischer Körperhaltungen bewertet werden. Das Ergebnis: Ja, wir bilden uns Urteile auf Basis von Körpersprache. Aber diese Urteile haben nur wenig mit der tatsächlichen Persönlichkeit der beobachteten Person zu tun.

Anders gesagt: Wir denken zwar, wir könnten andere Menschen „lesen“, aber eigentlich projizieren wir nur unsere eigenen Vorstellungen und Vorurteile auf sie. Wenn du denkst, dass jemand, der breitbeinig sitzt, dominant ist, dann sagt das mehr über deine Erwartungen aus als über die andere Person.

Warum wir trotzdem manchmal richtig liegen

Jetzt denkst du vielleicht: „Aber ich kann doch oft gut einschätzen, wie jemand drauf ist!“ Das stimmt tatsächlich – aber aus einem anderen Grund als gedacht. Psychologen nennen das Phänomen „Thin-Slicing“: Wir bilden uns innerhalb von Sekunden ein Urteil über andere Menschen und liegen damit häufiger richtig, als statistisch zu erwarten wäre.

Das liegt aber nicht daran, dass wir Körpersprache-Genies sind. Unser Gehirn verarbeitet unbewusst viele verschiedene Informationen gleichzeitig: Kleidung, Stimme, Wortwahl, den Kontext der Situation und viele weitere subtile Hinweise. All diese Puzzleteile fügt unser Gehirn zu einem Gesamtbild zusammen – und das funktioniert erstaunlich gut.

Die Körpersprache ist also nur ein kleiner Teil eines viel größeren Bildes. Wenn du jemanden „richtig“ einschätzt, dann nicht, weil du seine Armhaltung korrekt interpretiert hast, sondern weil dein Gehirn hunderte von kleinen Signalen ausgewertet hat.

Was Körpersprache wirklich gut kann

Lass uns realistisch werden: Körpersprache ist nicht völlig nutzlos. Sie gibt uns durchaus wertvolle Informationen – nur eben andere, als wir oft denken. Körpersprache kann gut den momentanen emotionalen Zustand anzeigen, Hinweise auf Extraversion geben und Interesse oder Desinteresse in der aktuellen Situation signalisieren.

Was Körpersprache schlecht kann:

  • Tiefe Charaktereigenschaften wie Ehrlichkeit oder Vertrauenswürdigkeit zuverlässig anzeigen
  • Komplexe Persönlichkeitsmerkmale wie Gewissenhaftigkeit offenbaren
  • Langfristige Verhaltensmuster vorhersagen
  • Als universeller „Lügendetektor“ fungieren

Die Forschung zeigt also: Körpersprache ist wie ein Stimmungsbarometer, nicht wie ein Persönlichkeitstest. Ohne den Kontext zu kennen, ist es praktisch unmöglich, körpersprachliche Signale richtig zu interpretieren. Eine Person, die nervös mit den Fingern trommelt, könnte ungeduldig, aufgeregt, nervös, konzentriert oder gelangweilt sein – oder einfach nur die Gewohnheit haben, mit den Fingern zu trommeln.

Die gefährliche Seite der Körpersprache-Mythen

Hier wird es richtig tückisch: Manchmal wird unsere Interpretation der Körpersprache anderer Menschen zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Wenn du glaubst, dass jemand aufgrund seiner Körpersprache unfreundlich ist, verhältst du dich ihm gegenüber distanzierter. Diese Person merkt deine Distanz und wird tatsächlich unfreundlicher – und schon hast du „recht“ behalten.

Das ist ein perfides psychologisches Spiel, das uns das Gefühl gibt, wir wären Experten im Lesen von Körpersprache, obwohl wir in Wahrheit die Situation unbewusst manipuliert haben. Es ist wie ein Zaubertrick, bei dem wir uns selbst täuschen.

Wie du Körpersprache realistisch einschätzt

Bedeutet das alles, dass du Körpersprache komplett ignorieren solltest? Natürlich nicht! Du solltest sie nur realistischer einschätzen und bewusster damit umgehen. Konzentriere dich auf momentane Zustände statt auf Charaktereigenschaften. Frage dich nicht „Was für ein Mensch ist das?“, sondern „Wie geht es dieser Person gerade?“

Sammle mehrere Hinweise. Ein einzelnes körpersprachliches Signal bedeutet fast nie etwas. Erst das Gesamtbild aus verschiedenen Signalen, Kontext und anderen Informationen ergibt ein sinnvolles Bild. Hinterfrage deine Interpretationen. Wenn du denkst, jemand sei aufgrund seiner Körpersprache arrogant, frag dich: „Könnte es auch andere Erklärungen geben?“

Achte auf deine eigenen Vorurteile. Wir interpretieren Körpersprache oft durch den Filter unserer eigenen Erfahrungen, Ängste und Erwartungen. Was du bei anderen „siehst“, sagt manchmal mehr über dich selbst aus.

Die überraschend gute Nachricht

Am Ende ist die Sache mit der Körpersprache wie mit vielen anderen Bereichen der Psychologie: Die Wahrheit ist komplizierter und gleichzeitig langweiliger als die populären Mythen. Es gibt keinen geheimen Code, den wir knacken könnten, um die Seelen anderer Menschen zu lesen.

Aber das ist eigentlich eine fantastische Nachricht! Es bedeutet, dass wir alle mehr Privatsphäre haben, als wir dachten. Deine unbewussten Gesten verraten nicht deine tiefsten Geheimnisse an jeden Fremden im Bus. Die meisten deiner Persönlichkeitseigenschaften, Ängste und Träume bleiben für Außenstehende verborgen – es sei denn, du entscheidest dich bewusst dafür, sie zu teilen.

Gleichzeitig solltest du auch mit deinen eigenen „Menschenkenntnis“-Fähigkeiten bescheidener sein. Die Tatsache, dass du manchmal richtig liegst mit deinen Einschätzungen, macht dich noch nicht zum Sherlock Holmes der Körpersprache. Du siehst wahrscheinlich nur einen kleinen Moment im Leben einer Person, gefiltert durch deine eigenen Erfahrungen und Erwartungen.

Das nächste Mal, wenn du meinst, du könntest aus der Art, wie jemand seine Arme verschränkt, seine ganze Lebensgeschichte ablesen – denk daran: Die Wissenschaft sagt, dass du zu 95% danebenliegen wirst. Manchmal ist es viel einfacher und ehrlicher, einfach nachzufragen, anstatt zu raten.

Wie oft liegst du mit Körpersprache-Deutungen laut Forschung daneben?
Nie!
Manchmal
Meistens
Fast immer
95 % der Zeit

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